Stella Konstantinou über DON QUIJOTE

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[Blogarchiv Theater der Dinge 2018: Von der verlorenen Zeit]

Wir sind so gut in der Zeit, die fünf Minuten machen doch nichts.*

Als erstes sehe ich und höre ich zwei Frauen auf der Bühne, die gleich über zwei sehr, sehr gründliche Themen sinnieren. Es sind im Prinzip zwei Dinge die das Leben, das Theater und das Leben mit dem Theater der Dinge ausmachen: Zeit und Vorstellungskraft. Und sie machen gleich Theater damit, von Anfang an. Denn sie handeln und verhandeln und spielen mit genau diesen zwei Dimensionen. Es geht um Don Quijote, das ist der Anlass welcher uns zusammenbringt: mit “uns” meine ich Sigrun Kilger und Annette Scheibler, Don Quijote, Sancho Panza, ein Ross, ein Esel, das Publikum und eine eigensinnige Gitarre.

Geschichten vertreiben die Zeit*

Langsam und deutlich, verspielt und nebenbei strategisch, charmant und dabei sehr entspannt stellen sie uns ein kleines Problem vor, nämlich die Unmöglichkeit bzw. Herausforderung, ein Buch von 1400 Seiten, welches vor 400 Jahren verfasst wurde, in 50 Minuten zu erzählen. Und dabei nehmen sie sich Zeit. Erstmal eine rauchen. Für meine süd-ost-balkan-berliner Ohren wirkt ihr Akzent erdig, robust und seeehr viel Zeit habend, so was wie das Gegenteil von husch-husch. Und das setzen sie sehr genau ein, sie wissen wie und das ist ein Ding was mir im Theater immer wieder Freude bereitet: dieses, man weiß dass man weiß; diese Verabredung zwischen uns, jetzt, hier, in der gemeinsam zu verbringenden Zeit.

von heute bis zur Abschaffung des Papstes*

Sie rauchen also eine Zigarette. Die Zigaretten sind schmale selbstgedrehte, das Feuer kommt aus einem Feuerzeug das vielleicht mal war und jetzt gerade nicht zu sehen ist, aber es ist da, es kann noch anzünden. Genau so ist es mit dem Rauch: ich sehe ihn nicht, spüre ihn aber regelrecht, ich kann ihn mir sehr genau vorstellen, er ist eigentlich da, bewegt sich von der Bühne zum Saal. Die zwei Frauen genießen die Paar Minuten Ruhe, jede*r Genussraucher*in kennt diesen kurzen Moment des Glücks, vergleichbar mit dem ersten Schluck Kaffee, den ersten Happen Hammelbraten oder eben den ersten Biss aufs Kantenbrot. Sie merken ja, wir sind mitten in der Geschichte von Don Quijote. Denn er stellt sich Sachen vor und sie sind eben da und so reell dass es Konsequenzen gibt, meistens keine zu genießenden, sondern eine Menge Prügel und blaue Flecken und verlorene Zähne.

wenn du jedes Wort doppelt sagst, wirst du nie fertig*

Das Spiel mit den Dimensionen der Vorstellungskraft und der Zeit ist so klar, dass diese Dimensionen zu Dingen werden, also körperlich greifbar. Zeit zum Anfassen. Wir können unsere Zeit und unsere Vorstellungskraft anschauen und darüber lachen oder staunen oder uns ärgern oder uns verständigen. Und das ist ein wichtiges Ding welches Theater schaffen kann. Wie viel Kraft und Zeit braucht es, um sich etwas vorzustellen? Welches Spiel, wie viele Dinge, welche Verabredung, welche Haltung? Dieser Theaterabend erzählt viel darüber. Und am Ende sinniere ich über Don Quijote und Sancho Panza, wie blitzschnell der eine mit seiner Vorstellungskraft sein kann und wie der andere sich strategisch Zeit nimmt und alle 100 imaginierten Ziegen einer Geschichte durchzählt, um die Nacht und die Angst zu vertreiben.

*schnell aufgeschnappte Phrasen aus dem Stück…

Stella Konstantinou arbeitet als Künstlerin und Theaterpädagogin, konzipiert und realisiert Performance-, Erzähl- und Filmprojekte mit der Gruppe ex defekt , wie auch mit Kindern und Jugendlichen. Ihre künstlerischen Projekte beschäftigen sich insbesondere mit dem Erforschen von Alltagserfahrungen in ihrem politischen Kontext über somatische Verfahren wie auch dem Umgang mit elektrischen Haushaltsgeräten.

Don Quijote des Ensembles Materialtheater wurde am 14.11.18 im Rahmen des Festivals aufgeführt.

https://www.schaubude.berlin/spielplan/theater-der-dinge/don-quijote/

Foto: Heinrich Hesse