Beate Absalon über CASES/HÄUSER von Xesca Salvà

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Kandor: Heimatstadt Supermans, die vom Bösewicht Brainiac auf Miniaturgröße geschrumpft und dann vom Superhelden zurückgewonnen, mit einer Glasglocke geschützt und auf seine »Fortress of Solitude« gebracht wurde, wird im Laufe der Comicgeschichten als affektiv aufgeladener Rückkehrort dargestellt. In Zeiten der Melancholie zieht sich Superman auf die »Festung der Einsamkeit“ zurück und kümmert sich wehmütig-liebevoll um seine geschrumpfte Geburtstätte. Die sensible und emotional aufgeladene Miniaturstadt wird zur Projektionsfläche für privates Begehren und intime Erinnerungen. Der stärkste Mann der Welt: sogar er steht der schmerzvollen Verlusterfahrung vergangener Zeiten wehrlos und in isolierter Trauer gegenüber.

In den architektonischen Miniatur-Modellen auf dem Festival, die in »Bildraum« und »Cases« eine zentrale Rolle spielen, findet Erinnerung und Nostalgie jedoch nicht in einsamen Festungen am Ende der Welt statt. Kollektive Erinnerungen werden erlebt, geteilt und bearbeitet. Ein gemeinsamer geschichtlicher Horizont eröffnet sich, der aufgrund künstlerischer Reflexionsleistungen nicht restaurativ-konservativen Nostalgiesymbolisierungen verfällt.

Gleichzeitig erinnern die Miniatur-Modelle an die Häuschen aus Kindertagen, die man sich entweder aus Bausteinen selbst kreierte oder die in Form des Puppenhäuschens direkt bespielbar waren. Welche Geschichten hat man sich da erzählt? Welche Erlebnisse und Eindrücke mussten hier re-inszeniert und damit verarbeitbar werden?

So wie sich Superman um die Bewohner Kandors kümmert, bauen die Besucher*innen der installativ-interaktiven Arbeit »Cases«, nie allein und dank über Kopfhörer vermittelte Anleitungen, den Bewohnerinnen ihrer Miniaturwelten eine Bleibe oder lassen sie selber auf Raumschiffen fliegen.

Was besonderen Reiz auslöst: das Blicken. Man selber ist im Vergleich zu den Objekten überdimensional, darf ungestört durch Fenster lugen; die eigene Größe ermöglicht viel, wenn man zum Beispiel einfach das Dach abnehmen kann; aber dann verhindert es an anderen Stellen wieder das Sehen von Details oder das Blicken um eine verborgene Ecke herum. Nicht nur das Schauen in die Innenwelten der Orte ist besonders, auch das Beobachten anderer in versunkener Stille an den Häusern interagierender Spieler*innen ist richtig berührend.

Inwiefern diese Freude am Reinschauen immer auch mit der Lust am Voyeurismus spielt, das bekommt man nicht zuletzt im Miniatur-Haus zurückgespiegelt, in welchem unterschiedliche Geschichten und Eindrücke von Sexarbeiterinnen vorgestellt werden. Dieses Häuschen schaut auf besondere Art zurück. Die Medien des verspielten Hin-und-Hers zwischen Schauen, Verstecken und Zeigen sind nicht Mittel zum Zweck, um etwas bestimmtes zu erfahren. Sie sind Selbstzweck. Die Freude liegt bereits darin, die Jalousie langsam hochzurollen und wieder zu schließen. Das dahinter Erscheinende geniert sich nicht, sich ganz herzuzeigen, und bleibt gerade deswegen irgendwie selbstbewusst undurchdringlich. Der eine Art Erotik-Kino simulierende Raum, in welchem pornographische Hard-Core-Szenen gezeigt werden, zeigt sich ganz ohne Vorhang oder Schlüsselloch, als würde ausgerufen werden: ‚Willst du mein Geheimnis erfahren? Nun gut, betrachte diese völlige unverzeihliche Geheimnislosigkeit!‘ Der italienische Philosoph Giorgio Agamben beschreibt solche Momente als »Nacktheiten«, in denen dieses »schlichte Wohnen des Scheins in der Geheimnislosigkeit sein besonderes Zittern“ ausmacht, die auf nichts Verzaubertes hinweist »und ebendeshalb durchdringt.«

Nie skandalisierend, nie bemitleidend werden die auf den drei Stadien thematisierten Geschichten mit Zitaten der Frauen selber erzählt. Und es wird deutlich, dass es eigentlich um viele Superwomen geht.

Beate Absalon promoviert am Institut für Kulturwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin. Im Kollektiv »luhmen d’arc« leitet sie Workshops um Themen kreativer Sexualität und Körperarbeit.

9.-11.11. und 14.-15.11.2018
immer im Anschluss an die Vorstellungen auf der kleinen Bühne der Schaubude.
Foto: Xesca Salvà