Bevor das Festival so richtig los geht, haben Beate Absalon und Sebastian Köthe Tim Sandweg, künstlerischer Leiter des Festivals und Intendant der Schaubude, einige Fragen zur diesjährigen Edition von Theater der Dinge stellen können.
Das Festival Theater der Dinge 2018 – Von der Verlorenen Zeit kreist um die Themen des Erinnerns, der Zeitzeugenschaft und der Hinterlassenschaft. Warum ist das hier und heute ein wichtiges Thema?
Unsere Festivalthemen sind ja immer das Ergebnis von vielen Vorstellungsbesuchen und Gesprächen mit Künstler*innen und es war doch auffällig, dass uns sehr viele Projekte begegnet sind, die sich mit der Frage nach der Vergangenheit beschäftigten. Das ist, wenn man sich die politische Lage in Europa oder auch weltweit anschaut, vielleicht auch gar nicht so verwunderlich, denn Erinnerung, Geschichte, das hat ja immer auch etwas mit Identitätspolitiken zu tun, gerade wenn wir von nationalen Identitäten sprechen. Und der Kampf um die Deutungshoheit über die Erinnerung, der tobt ja bereits. Ich denke da an Museumsdirektionen, die zum Beispiel in Polen oder Ungarn neu besetzt werden, um die Vergangenheit im Sinne einer neuen Regierung zu erzählen und darüber eine nationale Identität zu formen. Aber auch wenn wir nach Deutschland blicken: Wie wird denn eigentlich die ostdeutsche Vergangenheit erzählt? Doch eigentlich auch meistens aus Perspektive der „alten“ Bundesrepublik. Ich denke, dass diese Narrative, die ja immer die Geschichtsschreibungen der Gewinner*innen sind, maßgeblich zu den sozialen Spannungen beitragen, mit denen wir heute konfrontiert sind.
Dem Blick in die Vergangenheit haftet oft etwas Konservatives oder sogar Lähmendes an. Müssen wir der titelgebenden „verlorenen Zeit“ nachtrauern – oder gibt es etwas Progressives am Zurückschauen?
Dieser Satz, dass früher alles besser war, erzählt natürlich wahnsinnig viel über unser Heute. Ich empfinde ihn als eine Art Hilferuf: Man wünscht sich etwas zurück, was es natürlich so nie gab, was es so nur in der Erinnerung gibt. Aber man hat den Eindruck, die Vergangenheit kann man irgendwie überblicken, im Gegensatz zur Gegenwart. Uns geht es darum, genau diese Eindeutigkeit, die offizielle, aber durchaus auch partikulare Geschichtsschreibung behauptet, in Frage zu stellen: Wir haben es mit Erzählungen, mit Deutungen, letztlich mit performativen Prozessen zu tun. Und die eingeladenen Künstler*innen interessiert, den offiziellen Strängen alternative Geschichtsschreibungen entgegen zu stellen und damit die Vergangenheit etwas, nunja, zu perforieren.
Was hat es mit dem Titel auf sich. Bei Proust ist es ja die Suche nach der verlorenen Zeit. Ihr habt die „Suche“ nun fallen gelassen und handelt nur noch „Von der verlorenen Zeit“. Findet die Suche auf der Bühne ihre Erfüllung oder ist sie hoffnungslos?
Wir haben ja nicht nur die „Suche“ aufgegeben, wir haben auch das „nach“ in ein „von“ gewandelt. Die Inszenierungen erzählen eben „davon“ – natürlich in ganz vielen Fällen, indem sie die Suche verhandeln: La Bande Passant erzählt ihre Suche nach einer Person aus einem zufällig gefundenen Fotoalbum, Ludomir Franczak stellt seine unglaublich umfangreiche Recherche um eine heute vergessene polnische Op Art-Pionierin aus. Vielleicht ist eher die Frage, ob die Suche jemals enden kann, die verlorene Zeit ist ja vielleicht in dem Sinne verloren, dass sie nicht mehr greifbar dafür aber offen für Interpretationen ist.
Hat das Figurentheater eine besondere Fähigkeit, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen?
Das, was von der Vergangenheit in aller Regel übrig bleibt, sind ja Dinge. Und diese Dinge werden dann ausgestellt und kontextualisiert, um eine Geschichte, um die Geschichte zu erzählen. Das ist für meine Begriffe recht nah an dem, wie Figuren- und Objekttheaterschaffende arbeiten, wobei aber beim Figurentheater der Prozess der Narration immer offen liegt und im Dialog zwischen Mensch und Material hinterfragt werden kann. Das finde ich gerade spannend, dadurch stellt man die Geschichte, die man erzählt, auch sofort wieder in Frage.
Viele Stücke kreisen um konkrete Medien der Erinnerung: Videokassetten, Fotoalben, Flohmärkte oder Tagebücher. Wie unterscheidet sich eine theatrale Arbeit mit diesen Gegenständen vom bloß persönlichen Gebrauch? Wie entsteht etwas Mehr-als-Privates?
Der Ansatzpunkt ist ja auf der Bühne oder im Privaten vergleichbar: Ein Ding löst Erinnerungen aus. Vermutlich kennen wir das alle, wir finden etwas im Keller wieder und erinnern uns an etwas, was scheinbar im Gedächtnis verloren war. Gerade bei diesen sehr privaten Gegenständen ist es natürlich interessant, wenn sie öffentlich werden: Ich denke da an das besagte Fotoalbum, aber auch an die Filme aus dem Groninger Amateurfilmclub, die bei „Smalfilm“ eingesetzt werden. Das sind ja eigentlich alles Dinge, die für einen privaten Kontext bestimmt waren, die jetzt auf der Bühne aber plötzlich über sich hinauswachsen, eben weil sich Künstler*innen mit ihnen beschäftigen und sich die Biographien von Mensch und Ding verbinden.
Hast Du einen Geheimtipp für die Besucher*innen, was dürfen sie auf keinen Fall verpassen?
Diese Frage ist für mich immer sehr schwer zu beantworten – gerade in diesem Jahr bin ich sehr glücklich mit dem Programm. Natürlich gibt es Produktionen, die mir persönlich vielleicht sehr nah sind – ich denke da an „Bildraum“, wo man in einen Bilderstrom zwischen Architektur und Fotografie gezogen wird und leere Räume sich mit eigener Imagination füllen. Oder bei „Chronik der Zukunft“ – das ist vielleicht das Projekt, das mich am längsten beschäftigt hat, weil es die Tschernobyl-Katastrophe konzeptionell sehr intelligent an eine private Biographie bindet und auf ganz fantastische Weise Puppenspiel, Schauspiel und Musik zusammenführt. Und natürlich freue ich mich sehr, dass die Agentur der Objektdetektive „El Solar“ für uns forschen konnte – ich war gestern im Spielort im Weinsalon in der Schreinerstraße, mir wurde aber noch nichts verraten.
Foto: Videostill aus dem Festivaltrailer