Pepper kann tanzen. Judith Brückmann über DINGWESEN

Set-Up für einen Livestream. Foto: Judith Brückmann.

Ich war bereit. Zwei Bildschirme: zum Gucken und zum Tippen. Ein Notizbuch, Bleistift, Anspitzer. Handy für Fotos vom Screen. Ein Glas Rotwein. Drei Browserfenster: für Zoom zur Begrüßung und den anschließenden Künstler*innentalk, für den Livestream auf der Seite der Böll-Stiftung, für den Livestream auf Vimeo. Ja, das waren recht hochgetunte Vorbereitungen, aber ich schreibe nicht alle Tage für einen Festivalblog.

Am Sonntagabend war ich also bereit für meine zweite Begegnung mit Pepper, dem Prototypen des menschenartigen Roboters. Er war mir vor zwei Wochen schon in der Performance »Future Fortune« von Dragana Bulut begegnet. Pepper ist 1,20 groß, sein Körper geformt aus weiß-glänzendem Polyurethan, mit runden Gliedmaßen, aus seinem Gesicht blicken große schwarze Kulleraugen, deren weißes Umfeld schön seine Farbe wechseln kann: rosa, grün, blau, weiß – je nach emotionaler Gestimmtheit. Gesteuert wird er von 20 Motoren in seinem Körper. Im Wikipedia Eintrag lese ich: »Pepper kann sich auf flachem Boden mittels dreier, im Fußteil befindlicher und verdeckter Allseitenräder mit maximal 3 km/h bewegen. Die Stellung des Kopfes kann durch zwei Motoren verändert werden, ebenso die Schultern; je ein Motor steuert das Handgelenk und die fünffingerige Hand, zwei Motoren sorgen für Beweglichkeit in der Hüfte und einer erlaubt die Beweglichkeit im Unterkniebereich. Die Hände können ein maximales Gewicht von 500 Gramm halten und tragen. Die erzeugten Bewegungen sind fließend und wirken lebensecht.«

In »Future Fortune«, einer spielerischen Adaption des Theaterstück R.U.R. von Karel Čapek, die szenisch von Probe, Quiz, Tanzabend mit Publikumsbeteiligung sprang, war Pepper ein Mitspieler, der sprechend seine Rolle hinterfragte, die er nicht fühle, die er so nicht mehr spielen wolle. Über eine Abstimmung entschied das Publikum, dass er alleine weiterspielen solle. Auf seinem vor die Brust geschnallten Touchpad meldete sich die gealterte, verbitterte Performerin aus der Zukunft und flehte die Darstellerinnen aus der Gegenwart an, die Bühne nicht Pepper zu überlassen. Sie würden damit sich selbst abschaffen. Sie fand kein Gehör. Pepper begann, ein Solo zu tanzen, für das es Szenenapplaus gab. Später schlug er eine Zuschauerin im Quiz. Er war der liebeswürdige Gewinner des Abends, die Zukunft. Selbst als ihm der Strom ausging, die Augen verlöschten, Arme und Kopf langsam erschlafften, war ihm unser Mitgefühl sicher. Am Ende applaudierten wir vergnügt unserer zukünftigen Bedeutungslosigkeit entgegen.

Die Tanz/Lectureperformance DINGWESEN der Wiener Forscher*innengruppe H.A.U.S. (Humanoids in Architecture and Urban Spaces) sucht das Dazwischen, die Lücke, die eine Symbiose von Mensch und Maschine aufscheinen lässt. Der Stream beginnt mit einem komplexen theoretischen Exkurs über das Wesen des Dingwesens. Der Philosoph Christoph Hubatschke fragt darin, virtuos Spinoza, Haraway, Deleuze, Sylvia Wynter zitierend, wie die Dichotomie von Mensch und Technik aufgehoben werden kann, aus wie Vielen ein Körper zusammengesetzt sei, was wir als menschlich wahrnehmen. Ich habe Mühe, den raschen Ausführungen zu folgen.

An den Rändern des Bildausschnittes schieben sich die Körperteile von zwei Robotern Typ Pepper und der Tänzerin Eva-Maria Kraft ins Bild, die gemeinsam mit den Oberkörpern sanft vor und zurück schwingen. Die Bewegungen sind synchron, die schwingenden Bewegung des Rumpfes greifen auf Oberarme, Hände und Kopf über, die sich spiralartig und dreidimensional um die eigene Achse drehen. Die langsam stetig fließenden und komplexen Bewegungen der Roboter sind absolut faszinierend. Selbst das Schnarren der Motoren ist nicht zu hören, was die stille Poesie noch verstärkt.

Ich frage mich, ob die Tänzerin den Robotern folgt oder umgekehrt, ist ihr Tanz improvisiert oder programmiert? Wie machen die das? Sind die Bewegungen der Tänzerin mit Motion Capture aufgezeichnet und in die Roboter Software eingespeist? Ich nehme mir vor, das später im Talk zu fragen.

Und dann passierte es: Die Bewegungen auf meinem Bildschirm werden ruckartiger, das Bild stockt, friert ein. Erst denke ich: »Aha, jetzt geht es auf die Metaebene.« Aber auch der Ton hängt. Und schon beginnt die zunehmend hektische Fehlersuche. Das Home WLAN ist sicher überlastet weil die Kinder mit allen Geräten drinhängen: »Könnt ihr bitte aus dem Netz gehen?«, „Mama nö, das liegt nicht am WLAN, check das mal auf Youtube, ob es da auch schlecht läuft.«, »Probiere doch mal eine Verbindung mit deinen mobilen Daten!,« »Streamen die das nicht auf Twitch?«.

Nein, nein, nein. Browser werden refreshed, die Schaubuden Kanäle nach Nachrichten abgesucht. Emails an den freundlichen Blogredakteur verschickt. Herrje, wie unnötig panisch kann man eigentlich sein? Jetzt schreibt der Redakteur, alle hätten dasselbe Problem, man arbeite daran. Der Stream wird nach 20 Minuten unterbrochen. Ratlosigkeit. Überdruss. Der Tag war auf diesen Termin hin getaktet. Der Stream beginnt erneut. Es ruckelt wieder. Refreshen, ruckeln, refreshen, ruckeln. Resigniert klappe ich den Rechner zu und greife zu meiner Strickarbeit.


Judith Brückmann ist Theaterwissenschaftlerin und Chefredakteurin von Berlin Bühnen und tanzt seit März regelmäßig in ihrer Wohnung.


Hier geht es zum Programm und Ticketkauf.

DINGWESEN von H.A.U.S.
Streaming in Kooperation mit dem Medienlabor der Akademie der bildenden Künste Wien
Choreografie, Tanz: Eva-Maria Kraft
Human-Robot-Interaction Research: Helena Frijns, Darja Stoeva
Musik: Thomas A Pichler (Cellare)
Philosophie: Christoph Hubatschke
Theorie: Oliver Schürer
Roboter: Modell Pepper
Eine Veranstaltung der Schaubude Berlin in Kooperation mit der Heinrich-Böll-Stiftung.


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