Vom Kaputtmachen. Ein Gespräch mit Tim Sandweg (de/en)

Anlässlich der nahenden Eröffnung des diesjährigen internationalen Festivals des zeitgenössischen Figuren- und Objekttheaters Theater der Dinge zum Thema »Kaputt« haben Beate Absalon und Sebastian Köthe dem künstlerischen Leiter des Festivals und Intendanten der Schaubude Berlin, Tim Sandweg, einige Fragen gestellt.

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Tim Sandweg, Foto: Kai Wido Meyer

+++ English version see below +++

Wann ist dir zuletzt etwas kaputt gegangen? Hat die Arbeit am Festival deine Perspektive darauf verändert?

Ich gehöre zu diesen Kaputtmachern, denen etwas versehentlich kaputt geht und die sich dann darüber ärgern – gar nicht unbedingt, weil es kaputt gegangen ist, sondern weil man sich dann um die Scherben kümmern muss. Passiert mir in unregelmäßigen Abständen immer wieder und leider hat meine Arbeit an der diesjährigen Festivalausgabe nicht wirklich Entspannung gebracht. Vielleicht auch, weil dieses alltägliche »Kaputt« mit dem »Kaputt«, das wir im Festival meinen, nicht komplett deckungsgleich ist.

»Kaputt« hat viele negative Konnotationen – man ärgert sich, muss einen Schaden beheben, eigentlich soll alles immer funktionieren. Euer Programm betont jedoch auch die »produktiven Zerstörungsprozesse«. Was sind die positiven Aspekte? Und im Umkehrschluss: Was ist das Problematische am Funktionierenden? Wird das Intakte überbewertet?

»Kaputt« hört sich tatsächlich erst einmal nach einem Endpunkt an: Etwas ist kaputt, das heißt bei Dingen meistens, dass ihnen ihr Gebrauchswert abhandengekommen ist. Darin liegt aber ja auch das Potenzial zur Transformation: Erst wenn etwas nicht mehr so funktioniert, wie es immer funktioniert hat, kommt man vielleicht auf den Gedanken, dass man es auch anders machen könnte. Das ist bei Dingen so, aber auch bei größeren systemischen Zusammenhängen. In der Science Fiction gibt es ja ganz oft diese Idee, dass die Erde erst einmal kaputt gehen muss, damit etwas Neues entstehen kann. Oder in der realen Politik, wo das Alte zerschlagen wird, um Platz für neue Gedanken zu machen. Das ist sicherlich nicht in allen Fällen unproblematisch – es hängt ja immer davon ab, was die neuen Gedanken sind, wie da etwas kaputt gemacht wird, wie die Transformation abläuft. Genauso birgt aber das Funktionierende die Gefahr, dass man nie fragt, ob es nicht anders viel besser wäre.

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The Automated Sniper, Foto: Bas de Brouwer

In welchen Weisen thematisieren die Stücke das Kaputte? Kannst du Tendenzen ausmachen, beispielsweise eine entfesselte Lust an der Zerstörung, ein Faible für das Heile-Machen oder das Gewahrwerden des eigenen K.o.-Seins?

Die eingeladenen Inszenierungen thematisieren Zerstörung auf ganz unterschiedlichen Ebenen. Es geht um die destruktiven Seiten: »The Automated Sniper« von Julian Hetzel beschäftigt sich mit Kriegsdrohnen und fragt, was wir in der Spaßgesellschaft und im Kunstbetrieb damit zu tun haben. »There is a Noise« verschneidet Kriegserfahrungen verschiedener Generationen. »Das kleine Theater vom Ende der Welt« präsentiert ein dystopisches Endzeitszenario, bei »Das Hirn ist ein Taubenschlag«, der Eröffnungsinszenierung, geht es um einen psychischen Verfall und »Nettles« stellt eine vielleicht kaputte Eltern-Kind-Beziehung in den Fokus. Dann gibt es aber auch die Produktionen, die sich mit den Verwandlungen und der Ästhetik des Kaputten beschäftigen: Tim Spooner und Tom Richards zerstören in »Cuteness Forensics« ihre eigenen Kunstobjekte und schaffen daraus ein neues Werk, »Hairy Hairy Mouth« untersucht auf Basis litauischer Geschichte wirtschaftliche Veränderungsprozesse und »Noir AV Ritual« zerlegt einen B-Horrormovie und verwandelt ihn in ein protofeministisches Manifest.

Die Schaubude richtet sich ja auch an ein jüngeres Publikum, das eine ganz eigene Affinität zum Kaputtmachen hat. Gibt es ein besonderes Programm für Kinder?

Die Produktionen für das junge Publikum beschäftigen sich vor allem mit der Lust an der Zerstörung. Bei unserer Festivalproduktion »¡ ver-rückt !« hat das Inszenierungsteam ein Jahr zum Thema mit KITA-Kindern geforscht und entwickelt nun aus diesem Material eine Theaterperformance. Oder das Fundus Theater, das in der »Werkstatt der Zerstörung« auf Basis von Methoden der Performancekunst einlädt, selber zum Kaputtmacher zu werden. Ich glaube, es ist auch ganz gut, gerade für das junge Publikum Kaputtmachen als etwas anderes erlebbar zu machen, als was es sonst immer thematisiert wird.

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¡ ver-rückt ! Foto: Jara López Ballonga

Auch der Kunstbetrieb hat eine Affinität zum Kaputtmachen (man denke nur an die Zerstörungsfreude von Rockstars an ihren Gitarren oder Banksys Schredder-Aktion…). Wie erklärst du dir das?

Ich glaube, das kann man auf keinen Nenner bringen. Es gibt in der Kunst ja sehr unterschiedliche Praktiken des Kaputtmachens, die aus unterschiedlichen Intentionen entstehen. Ich vermute allerdings schon, dass Kunst ein Raum ist, in dem Kaputtmachen, was sonst sozial eher unerwünscht ist, ausgelebt werden kann und dort, zumindest in den meisten Fällen, auch keine Folgen nach sich zieht. Und sicherlich hat es auch in vielen Fällen, gerade in der Bildenden Kunst, damit zu tun, den auf Werke orientierten Markt zu unterwandern. Ob das dann immer klappt, ist eine andere Frage – siehe Banksy.

In der letzten Ausgabe von Double, dem Magazin für Puppen-, Figuren- und Objekttheater, ging es um Gewalt – wie kommt es, dass das Thema Destruktion gerade so präsent ist?

Ich beschäftige mich ja jetzt seit fast zwei Jahren mit diesem Thema. Es ist interessant, wie sich die Wahrnehmung auf unsere thematische Setzung in dieser Zeit gewandelt hat, was also gerade als »kaputt« empfunden wird. Als ich vor ein paar Monaten mit den ersten Zuschauer*innen über das Thema sprach, dachten alle sofort an Klimawandel und die ökologische Katastrophe. Das Thema ist ja nun wirklich nicht neu, aber derzeit sehr präsent; das war es vor zwei Jahren noch nicht in diesem Maße. Aber auch andere derzeitige politische und soziale Tendenzen rücken stärker in den Fokus, werden wahrgenommen und gesamtgesellschaftlich oder von einzelnen Gruppen als destruktiv empfunden. Und da Theater ja immer in einer ästhetischen Form über die Welt nachdenkt, spielen diese Entwicklungen natürlich auch auf der Bühne eine Rolle.

Was geht am Theater ständig kaputt? Mit welchen Beschädigungen, Maroden, Ausfällen und Abnutzungen hat man es am meisten zu tun? Was ist besonders zerbrechlich und empfindlich? 

Naja, man könnte das jetzt natürlich mit der Infrastruktur beantworten – da haben wir es ja ständig mit Abnutzungserscheinungen zu tun. Viel zerbrechlicher erscheinen mir aber die Prozesse, mit denen wir es in der Kunstproduktion zu tun haben, die Arbeitsstrukturen, die Formen der Zusammenarbeit. Und auch wenn es dort natürlich genauso gilt, dass diese immer wieder hinterfragt und manchmal auch zerbrochen werden müssen, sind das viel sensiblere Prozesse, als wenn es um Scheinwerfer, Räume und sonstige Abnutzungen geht.

Zum Schluss: Was darf beim Festival keineswegs kaputt gehen?

Es ist schon etwas seltsam – aber natürlich hoffe ich, dass bei Theater der Dinge alles glatt läuft. Auch wenn das Thema »Kaputt« ist.

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Mehr Infos zum Spielplan von Theater der Dinge 2019: auf der Schaubude-Website


On Breaking Things. An Interview with Tim Sandweg

On the occasion of the upcoming opening of this year’s International Festival of Contemporary Figure and Object Theatre „Theater der Dinge“ under the theme „Broken,“ Beate Absalon and Sebastian Köthe interviewed Tim Sandweg, artistic director of the festival as well as of Schaubude Berlin.

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When was the last time you broke something? Has the work at the festival changed your perspective on this matter?

I’m one of those „breakers“ who accidentally damage something and then get angry about it not necessarily because it broke, but because you have to take care of the mess. This happens to me at irregular intervals and unfortunately my work on this year’s festival edition didn’t really bring any relaxation. Maybe also because this everyday „broken“ is not completely congruent with the „broken“ we mean at the festival.

„Broken“ has many negative connotations – it’s annoying, you have to repair a damage, actually everything is supposed to work flawlessly at all times. But your programme also emphasizes the „productive processes of destruction“ – could you name some of the positive aspects? And vice versa: What is the problem with well-functioning? Is the intact overrated?

„Broken“ actually sounds like an endpoint at first something is not working, which means that things usually lose their utility value. But this is also where the potential for transformation lies: Only when something no longer functions in the way it always has, does one perhaps come to the conclusion that things can be done differently. This is the case with objects, but also with larger systemic contexts. In science fiction there is often this idea that the earth must first fall apart in order for something new to emerge. Or in real politics, where the old is broken up to make room for new thoughts. This is certainly not always unproblematic depending on what the new thoughts consist of, on the way in which something is shattered, or transformed. In the same sense, however, there is a risk that without things being broken no one ever asks whether it might be much better otherwise.

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Das Hirn ist ein Taubenschlag, Foto: Baraniak

In what ways do the festival productions address the broken? Can you identify tendencies, for example an unleashed desire for destruction, a faible for remedy or the awareness for one’s own exhaustion?

The invited productions are dealing with deterioration on very different levels. It’s about the destructive aspects: „The Automated Sniper“ by Julian Hetzel deals with war drones and asks what we in the fun society and the art world have to do with them. „There is a Noise“ intersects war experiences of different generations. „Das kleine Theater vom Ende der Welt“ presents a dystopian end-time scenario; „Das Hirn ist ein Taubenschlag„, the opening production, deals with psychological decay and „Nettles“ focuses on a perhaps broken parent-child relationship. Then there are also the productions that deal with transformations and the aesthetics of the broken: In „Cuteness Forensics„, Tim Spooner and Tom Richards destroy their own art objects and create a new work from them, „Hairy Hairy Mouth“ examines economic processes of change on the basis of Lithuanian history, and „Noir AV Ritual“ dissects a B- horror movie and turns it into a protofeminist manifesto.

Schaubude is also aimed at a younger audience that seems to have its own affinity for smashing, crumbling and crushing. Is there a special programme for children?

The productions for the young audience are primarily concerned with the pleasure of destruction. In our festival production „¡ ver-rückt !“ the team spent a year researching the topic with kindergardens and is now developing a theatre performance from this material. Or the Fundus Theater, which in the „Workshop of Destruction“, based on methods of performance art, invites the audience to become breakers themselves. I think it’s quite good, especially for children, to be able to experience breaking something as something other than what it is usually thematized.

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¡ ver-rückt ! (!ca-razy!), Foto: Jara López Ballonga

The art business also has an affinity for damage (think of the joy of rock stars destroying their guitars or Banksy’s last shredding action…). How would you explain this?

I don’t think there’s a denominator for that. In art there are very different practices of breaking, which arise from different intentions. I suspect, however, that art is a space in which what is otherwise socially unwelcome – like processes of destruction and demolition – can be lived out, because it won’t have any catastrophic consequences – at least in most cases. And certainly in many cases, especially in the fine arts, it has to do with undermining the labour market. Whether this always works is another question – see Banksy.

The last issue of Double, the magazine for puppet, figure and object theatre, was about violence. How come that the theme of destruction seems to be so present right now?

I’ve been dealing with this topic for almost two years now. It’s interesting to see how the perception of our thematic setting has changed during this time, what is currently perceived as „broken“. A few months ago, when I talked to the first audiences about the festival theme, everyone immediately thought about climate change and the ecological catastrophe. The subject is not new, but very present at the moment, unlike two years ago. In addition, other current political and social tendencies move more strongly into the focus, are noticed and perceived as destructive by society as a whole or by individual groups – and since theatre always thinks about the world in an aesthetic form, these developments naturally also play a role on stage.

What does constantly break in theatre? Which damages, decays, malfunctions and erosions are the most common? What is particularly fragile or goes haywire?

Well, of course you could answer that now with the infrastructure where we are constantly dealing with signs of wear and tear. But the processes we have to deal with in art production, the working structures, the forms of cooperation seem much more fragile to me. And even if it’s just as true, of course, that they have to be questioned and sometimes need to be broken, these are much more sensitive processes than when it comes to projectors, costumes, requisites or work spaces.

Finally: What should not under any circumstances break during the festival?

It’s a bit paradox – but of course I hope that everything runs smoothly at „Theater der Dinge. Even if the festival theme is „Broken.“


Mehr information über „Theater der Dinge / more information about Theatre of Things: at Schaubude Berlin.