In dieser Residenz habe ich mir die Freiheit genommen, einem Unbehagen nachzugehen.
Ich wollte mich dem Unbehagen in der Kulturinstitution widmen. Meinem eigenen, aber auch dem anderer, die einerseits die Institutionen selbst verändern wollen, aber sich andererseits von diesen auch schnell vereinnahmt sehen. Denn über sie, über uns als Akteur*innen in den Kulturinstitutionen laufen die Prozesse der Infragestellung bisheriger Praktiken und deren Änderung, oftmals als »Öffnung« bezeichnet. Was ist mit denen, für die sich die Institutionen öffnen wollen?
Mein Fokus gilt dabei vor allem dem Personenkreis, der von Migration, Rassismus, Kolonialismus und Imperialismus betroffen ist. In meinen verschiedenen Tätigkeiten der letzten Jahre als freiberufliche Akteurin in der Grauzone zwischen künstlerischen und institutionellen (im Sinne von Rahmen gestaltenden) Aufgaben beobachte ich einen Fortschritt und einen Kampf um die Anerkennung verschiedener politischer Ansprüche. Und diese Ansprüche steigen, wenn mehr verschiedene Menschen mitmischen, die politisiert sind. Mich hat in diesem Kontext vor allem beschäftigt, was die Transformationen, die sich die Institutionen vornehmen, auf persönlicher Ebene bedeuten. Als Theaterschaffende ist das doch unser Terrain?

Anstrengungen
Ich habe mit mir angefangen und mich auf die Suche nach einer Stimme begeben. Der dabei entstandene Text enthält auch die Stimmen vieler anderer, auch wenn ich niemanden exakt wiedergebe, weil vieles davon in meinem Erleben eher zwischen den Zeilen stand und somit eine Interpretation ist. Mein Subtext der Diversifizierungsanstrengungen hat vor allem mit Schmerz zu tun. Ich habe mich gefragt, ob es nicht auch (seelischer) Schmerz ist, der verhandelt wird, wenn es darum geht, wer aus welcher Position mit welcher Legitimation etwas sagen und machen kann, wer wie geschützt werden soll, durch eigene Räume, Trigger-Warnungen und Empowerment.
Von Schmerz zu Empowerment
Dabei geht es nicht nur um momentane Empfindungen, sondern um Prägungen und Formen der Subjektbildung über eine ganze Biografie hinweg, wahrscheinlich sogar generationsübergreifend, die mit Anders-Machen, mit Rassismus, mit Verlusterfahrung und Brüchen zu tun hat. Und eigentlich, so im Grunde auch die Schlussfolgerung, müssen wir vom Schmerz zum Empowerment kommen. Allerdings ist es eine Illusion, anzunehmen, dass es nicht wehtut, wenn als Resultat dieses Empowerments die Kritik dann auch pointierter wird. Vielleicht kehrt sich die Schmerzerfahrung in diesem Moment um und gelangt auf die Ebene der Institution und ihrer Akteur*innen. Und vielleicht braucht es diese Umkehr auch für einen echten Lernprozess.
Doch kann es nicht darum gehen, dass es allen schlecht geht. Gerade, damit wir von der persönlichen Ebene auf die strukturelle Ebene kommen können, brauchen wir die Institutionen. Wie müssen diese dann aufgestellt sein und wie ändert sich ihre Funktion?
Ich habe versucht, diese Fragen in einem Setting anzusiedeln, wo Menschen, die dem migrantischen und vor allem postmigrantischen Spektrum angehören, vom Kulturbetrieb und vom Leben versehrt einer (nicht psychologisch fundierten, sondern theatral motivierten) Therapie unterzogen werden, dabei aber miteinander ihre verschiedenen Standpunkte aushandeln müssen. Ich sehe es aktuell eher als internen Prozess und vieles davon ist für mich auch sehr persönlich.
Konstrukte
Obwohl ich schon lange Theater mache, habe ich meine erste Gelegenheit, dies professionell zu tun, im postmigrantischen Theater bekommen. »Postmigrantisch« war und ist auch die erste und einzige Selbstbezeichnung, die ich für mich als in Deutschland geborene Person mit einem französischen und einem iranischen Elternteil passend finde. Doch bin ich an der Schwelle dessen situiert, was als »weiß«, als »deutsch«, als »POC«, als »migrantisiert« usw. gilt, bzw. wie diese Begriffe in Deutschland gelesen und zugeschrieben werden. In den meisten anderen Ländern dieser Welt würde sich die Frage wahrscheinlich nicht stellen, hier aber sind die sozialen Konstrukte von »weiß« und »deutsch« eng gefasst.
Die Wirkmacht dieser und anderer Kategorien wurde mir absurderweise vor allem im Theaterbetrieb bewusst. Denn wenn wir Kunst machen, arbeiten wir die ganze Zeit mit symbolischem Kapital, damit verbundener Macht und natürlich auch innerhalb genereller Machtverhältnisse. Daraus leitet sich eine bestimmte Verantwortung ab, je nachdem, wie privilegiert oder benachteiligt wir in hegemonialen Verhältnissen sind. Und gerade, wenn der weißen Dominanz etwas entgegengesetzt werden soll, geht es ganz stark darum, wer in diesem Spektrum auf welche Weise situiert ist und somit auch welche kollektiv verbindenden, ggf. marginalisierten Perspektiven repräsentieren kann und möchte.
Strategische Hilfsbegriffe
Doch ich weiß oft nicht, für wen ich spreche oder sprechen könnte, weil das Gefühl, zu etwas dazuzugehören, ein Prozess und keine Selbstverständlichkeit ist. »BIPOC«, »BPOC« und »POC« sind wichtige strategische Begriffe, um Weißsein als dominant zu markieren und diesem etwas entgegenzusetzen, woraus auch Ansprüche ausgleichender Gerechtigkeit ableitbar werden. Aber bereits der Begriff »People of Color«, der sich auf soziale Positionen bezieht, die sich von der weißen Norm abgrenzen, umfasst extrem heterogene Lebensrealitäten und Erfahrungen. Deswegen ist er nur eine strategische Hilfskonstruktion, wenn auch eine wichtige, die solidarische Zusammenschlüsse ermöglicht. Ich erlebe vor allem, dass es sich dabei um ein Spektrum handelt, an dessen Rand ich mich befinde, manchmal auch jenseits dessen, je nach Kontext. An der Schwelle.
Fragment: Auszug aus der Szene »Knettherapie«
Konzentriertes Kneten.
LYRISCHES ICH kriegt einen Krampf.
LYRISCHES ICH
Wenn ich jetzt voll Schmerz bin
Hab ich dann Anspruch auf irgendwas
Auf Sprechen, Gehörtwerden
Eine Art Priorität?ÄLTERE GENERATION
Die Frage ist doch:
Wie politisch ist dein Schmerz?PRAGMATISCHE KURATION
How political is your pain
And can you really make it productiveLYRISCHES ICH
Hier:
Wie fühlt sich mein Knetklumpen
Für dich an?ÄLTERE GENERATION
Musst du immer alles mitfühlen können
Oder ist das nicht eh
Unmöglich?LYRISCHES ICH
Wem gehört welcher Schmerz?
Wen formt er und wo brennt er sich ein
Und wer verfügt über ihn
Ohne von ihm verformt zu seinPRAGMATISCHE KURATION
Wenn du fühlst
Das hätte ich sein können
Bin ich aber nicht
Kannst du dir das aneignen
Oder solidarisch sein
Es macht einen Unterschied
Was du damit machst
Solange du nicht völlig erstarrstOUTSIDE EYE
Das ist ja gerade
Das Anzeichen von Schmerz
Er hält dich zurück
Er macht, dass du nicht machen kannst
Oder machst, was nicht gut ist
Für dich oder für andere
Macht braucht SchmerztoleranzPRAGMATISCHE KURATION
Vielleicht ist das hier doch der richtige Ort für dich
Und möglicherweise ist das Diversity Management
Auch neu zu besetzenOUTSIDE EYE
Maybe I’m not actually real
But just a written character
Who can speak how it’s neededPRAGMATISCHE KURATION
Wir sind mitten im Thema
Bitte seht die Knete jetzt als Material
Um eine Szene darzustellen
Für etwas, das ihr mit uns teilen wollt
[…]
All the world’s a stage
And stages
Can create a distance
Rück- und Ausblick
Im Grunde habe ich das gemacht, was ich auch meine Figuren durchwandern lasse: Ich habe versucht, die Mittel des Theaters auf diese inneren Dialoge anzuwenden und sie zu äußeren Dialogen zu machen. Weitere Figuren, die in dem Textauszug oben nicht vorkommen, heißen übrigens JÜNGERE GENERATION, DIVERSITY MANAGEMENT und MEIN HANDY. In diesem Textentwurf ist dabei aber das Chaos noch groß und mir ist nicht klar, ob oder wie es damit weitergehen wird. Ein nächster Schritt wäre wahrscheinlich, den Textentwurf mit anderen zu teilen, deren Rückmeldungen zu hören und zu berücksichtigen, den Schritt aus der Intimität zu wagen. Denn, wie die »PRAGMATISCHE KURATION« sagen würde:
The intimate is political.
The institutional is political.
The institutional is intimate.
It’s all about pain:
The politics of pain
Mein Wunsch wäre, auch darüber lachen zu können, ohne es weniger ernst zu nehmen, in wohlwollender Anerkennung. Ob sich dieser Widerspruch einlöst und aushalten lässt, weiß ich nicht. Diese Residenz, meine Lektüren, Auseinandersetzungen und den entstandenen Text sehe ich jetzt auch als Schwelle, die ich überqueren muss, um meine Handlungsfähigkeit im Machen, Denken und Schreiben von Theater zu erweitern und bewusster mit anderen in Verbindung bringen zu können.
Die TakeHeart-Residenz »An der Schwelle schreiben« wurde gefördert vom Fonds Darstellende Künste aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien im Rahmen von NEUSTART KULTUR.
Yasmine Salimi, geboren 1986 in Köln, arbeitet und forscht an der Schnittstelle von Theorie und Praxis, Theater und Text, Deutsch und Französisch. Sie ist in unterschiedlichen Kontexten als freie Dramaturgin tätig, u. a. als Teil des Berliner Figurentheaterkollektivs manufaktor und für das internationale Festival Theater der Dinge an der Schaubude Berlin. Im vergangenen Jahr war sie als Co-Projektleitung des ersten Jahrgangs der Akademie Kunst und Begegnungen vom Bündnis internationaler Produktionshäuser tätig. Zuvor hat sie u. a. mehrere Jahre lang in der Dramaturgie am Ballhaus Naunynstraße gearbeitet. Sie hat verschiedene Theaterstücke aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt. Aktuell lebt sie in Berlin.