Figure It Out. Im Gespräch mit Tim Sandweg

Ab Freitag feiert die Schaubude Berlin ihr 30-jähriges Jubiläum mit dem 10-tägigen Showcase Figure It Out. Tim Sandweg ist seit 2015 als Intendant und künstlerischer Leiter an der Schaubude tätig. Im Interview spricht er über die Hintergründe von Figure It Out, das Programm und die Zukunft des Theaters und der freien Szene.

Das Figure It Out Programm | Ticketshop

Dieses Jahr feiert die Schaubude Berlin 30-jähriges Jubiläum und lädt zum Showcase Figure It Out ein. Was unterscheidet das 10-tägige Programm vom regulären Programm des Theaters?

Die Vorstellungen im Rahmen von Figure It Out sind eine Art Kondensat unseres Programms. Die Hälfte der Produktionen hatte bereits bei uns Premiere, alle eingeladenen Künstler*innen waren schon mit anderen Arbeiten bei uns zu sehen. Insofern zeigt Figure It Out vielfältige Beispiele unseres Programms in konzentrierter Form. Außerdem können wir im Showcase kürzeren und intimeren Stücken, Installationen und Rechercheergebnissen eine Bühne geben – das sind Formate, die wir in unserer regulären Programmstruktur nur schwer abgebildet bekommen.

Die Inszenierung »Hero« der Numen Company eröffnet das Showcase, Foto: Joachim Fleischer

Figure It Out findet zum zweiten Mal statt. Vergangenes Jahr hat das Showcase im Westflügel Leipzig Premiere gefeiert. Wie und wann ist Figure It Out entstanden, wer hat es initiiert und welche Ziele verfolgt es?

Die Idee gab es bereits, als wir 2020 mit dem Westflügel Leipzig und dem FITZ Stuttgart die Allianz internationaler Produktionszentren für Figurentheater gegründet haben. Wir haben nach einem Format gesucht, das die Städte verbindet und sich einerseits an die Publika vor Ort, aber auch an Fachkolleg*innen und (internationale) Veranstalter*innen richtet – wir wollten einen Querschnitt dessen präsentieren, was in den freien Figurentheaterszenen der drei Städten aktuell produziert wird. Die Geburtsstunde war in Leipzig und wir haben die Struktur aus dem letzten Jahr  weitestgehend übernommen: Neben den Vorstellungen gibt es einen Fachaustausch und Publikumsformate. Wir ergänzen das dann noch um die virtuelle und delokale StageJam.

Schaubude Eigenproduktion »¡ver-rückt! Versuche zu Chaos, Fliegen und Maschinen«, Foto: Lukas Papierak

Seit acht Jahren begleitest du das Theater als künstlerische Leitung und integrierst vermehrt auch digitale oder interaktive Formate wie beispielsweise »Der erste Kontakt« von Anna Kpok ins Programm. Wie sieht für dich ein gelungenes Zusammenspiel von Digitalem, Kunst und Handwerk im Figurentheater aus?

Der Einbezug des Themenkreises der Digitalität erschien mir 2016 folgerichtig: Das Figurentheater hat einen ästhetischen Resonanzraum, in dem viele Fragen, die die digitale Transformation und die Neuverordnung mit sich bringen, performativ verhandelt werden können. Gleichzeitig bietet das jahrhundertealte Wissen des Puppenspiels eine hervorragende Basis, um den Umgang mit digitalen Dingen auf der Bühne zu erforschen. Dazu kommen diese ganzen Fragen nach Interaktion oder, was ich noch viel besser finde, nach Partizipation. Für mich sind das aber alles nach wie vor Felder, in denen ein großer Recherchebedarf besteht – es gibt ja noch gar nicht so einen großen Erfahrungsreichtum. Dafür finde ich dann Formate wie unsere StageJam, in der virtuelle Räume performativ bespielt werden, auch so wichtig, um Erfahrungen und Erkenntnisse zu sammeln.

Screenshot aus »Der erste Kontakt« von Anna Kpok

Große Teile des Figure It Out-Programms wurden innerhalb verschiedener Residenzenförderungen des Fonds Darstellende Künste entwickelt und befassen sich mit Themen wie Körperpolitik, Feminismus, Diversität oder Dekolonialisierung. Welche Chancen bietet das Objekt- und Figurentheater bei der Darstellung solcher Themenkomplexe im Vergleich zum klassischen Theater?

Unser Genre hat ja die Besonderheit, dass die Dinge im Zentrum des Bühnengeschehens stehen und die Menschen hinter die Dinge zurücktreten. Über manche Themen können wir vielleicht auch nur erzählen, wenn wir sie in die Puppe externalisieren und vom Künstler*innen-Körper abspalten. Gleichzeitig ist das Figurentheater eine Form, die sehr stark auf den Spielimpuls setzt und die im Erzählen über die Dinge nach einer sinnlichen Erfahrung strebt. Daraus generiert sich eine Perspektivverschiebung, die ich in unserer nach wie vor anthropozentrisch ausgerichteten Welt sehr produktiv und bereichernd finde.

»Anatomie der guten Hoffnung, Pt.1 Unter Schmerzen sollst du gebären« von Cora Sachs, Foto: G2Baraniak

In den vergangenen Jahren war der Kulturbetrieb mehr als sonst mit Hürden und Veränderungen konfrontiert. Was braucht es deiner Meinung nach, um Theater wie die Schaubude Berlin auch die kommenden Jahre erhalten zu können?

Es sind ja nicht nur die Unsicherheiten. Für mich ist entscheidender, wie wir in die Lage versetzt werden, die großen gesellschaftlichen Transformationsprozesse umzusetzen – also Nachhaltigkeit, Barrierefreiheit, Diversitätsentwicklung, angemessene Produktionsbedingungen und Honorare, Digitalisierung. Ich nehme an Häusern unserer Größe, nicht nur in Berlin, eine große Bereitschaft wahr, diese Themen anzugehen, und ich glaube, wir können aufgrund unserer agilen Struktur modellhaft vorangehen. Ob es dann aber wirklich in die Betriebe implementiert werden kann, ist einfach eine Frage der Ressourcen – und die sind an unseren Häusern eben sehr limitiert. Gleichzeitig mache ich mir natürlich um die freien Künstler*innen, die ja der Kern unseres Programms sind, Sorgen: Die Neustart-Maßnahmen sind ausgelaufen, die Fördertöpfe wachsen trotz Inflation und neuer Honoraruntergrenzen eher nicht. Ich hoffe, dass die Theaterschaffenden in Berlin sich nicht zu Verteilungskämpfen hinreißen lassen, sondern weiterhin, egal ob frei oder institutionell, solidarisch miteinander für bessere Bedingungen streiten.

Zeitplan zum Fachaustausch »Mit Kunst forschen?«, Foto: Beate Absalon

Der Deutschlandfunk Kultur hat ein ausführliches Interview mit Tim Sandweg über das Jubiläum der Schaubude Berlin geführt, das am 27. Mai veröffentlicht wurde. Hier könnt ihr Reihören: »Die Berliner Schaubude wird 30«.


Zum Programm / Complete programme