Die Schaubude bringt in das Festival 2019 die Eigenproduktion »¡ver-rückt! Versuche zu Chaos, Fliegen und Maschinen« ein. Zwei Theaterpädagoginnen des Hauses haben für Kinder ab 4 ein Material- und Objekttheater mit Soundcollagen produziert, zusammen mit TUKI Bühne (Verein Theater und Kita) sowie den Künstler*innen Alpha Angelina Kartsaki und Gonzalo Barahona. Ein Spektakel für’s Auge! Aber wie nehmen Blinde und Sehbehinderte die Aufführung wahr? Anke Nicolai spricht als barrierefreies Angebot für die Premiere am 27.10. eine Live-Audiodeskription ein. Hier erklärt sie, wie – mit Hörbeispiel.
Für wen sind Audiodeskriptionen gedacht und wie gehst du generell vor, wenn du eine anfertigst?
Das Verfahren ermöglicht blinden und sehbehinderten Menschen den Zugang zu Kunst und Kultur. Aber auch sehende Besucher*innen können durch die akustischen Beschreibungen ihre eigene Wahrnehmung schärfen und einen spannenden Perspektivwechsel einnehmen! Eine Audiodeskription möchte die Inszenierung in ein Hörtheatererlebnis verwandeln: Visuelle Elemente wie Bühnenbild, Kostüme, Mimik und Gestik werden in knappen präzisen Worten beschrieben und in die Sprechpausen platziert. Die blinden Besucher*innen hören die Audiodeskription über einen Audioguide und Kopfhörer. Davor spreche ich den Text probeweise ein und lasse die Aufnahme von einer blinden Person prüfen.
Und wie bist du konkret bei »¡ ver-rückt !« vorgegangen?
Nachdem ich eine Voraufführung gesehen hatte, erarbeitete ich anhand eines Videomitschnitts innerhalb von ca. zwei Wochen einen Text, den ich bei einer der nächsten Voraufführungen testete. Hier sprach ich die Audiodeskription simultan zur Vorstellung ein. Anschließend nahm ich kleine Änderungen am Skript vor, die sich in Absprache mit dem Inszenierungsteam ergeben haben. Die Live-Audiodeskription bei der Premiere spreche ich im Saal dann vom Technikpult aus ein.
Du bist eine erfahrene Audiodeskriptorin. Was würdest du sagen sind die Besonderheiten bei »¡ver-rückt!«?
Diese Produktion ist deutschlandweit das erste Objekt- und Figurentheaterangebot für blinde und sehbehinderte Kinder und damit eine besondere Herausforderung für die Audiodeskription. Im Unterschied zu Theaterstücken wird hier keine narrative Geschichte erzählt. Eine Aneinanderreihung von Szenen mit sehr wenig Dialogen, viel Musik und Klängen lädt die Kinder ein, eigene Bilder zu kreieren. Dafür bedarf es bei der Audiodeskription einer phantasievollen und zugleich kindgerechten Sprache, die viel mit Vergleichen arbeitet und den blinden und sehbehinderten Kindern jederzeit eine Orientierung gibt.
In »¡ ver-rückt !« geht es um Fliegen. Für sehende Kinder ist das Aussehen einer Fliege selbstverständlich, für blinde und sehbehinderte Kinder beschreiben wir sie:
»Die Fliege ist nur wenige Millimeter groß, sie hat sechs Beine, zwei lange durchsichtige Flügel in Dreiecksform und einen runden Kopf mit sehr großen Augen.«
Besonders knifflig ist auch die Erklärung des Overheadprojektors, der eine große Rolle in dem Stück spielt:
»Der Projektor ist wie eine starke Lampe, die an eine Wand leuchtet. Wir können etwas auf den Projektor legen oder malen und das Licht leuchtet dann das Gleiche, nur viel größer, an die Wand«.
Hörbeispiel Audiodeskription zum Auftritt einer Schnecke, erstellt von Anke Nicolai und Felix Koch; Videoaufzeichnung von der Voraufführung: Jara López Ballonga.
Tastführung auf der Bühne unmittelbar vor der Premiere
Anke Nicolai ist Expertin für Audiodeskription. Sie berät Kultureinrichtungen und -veranstalter*innen und ist als Referentin auf Fachveranstaltungen tätig. Im Auftrag der Schaubude spricht sie bei der Inszenierung »¡ ver-rückt ! Versuche zu Chaos, Fliegen und Maschinen« für blinde und sehbehinderte Kinder die Audiodeskription ein.
Interview: Katharina Neumann, Redaktionsteam. Fotos: Jara López Ballonga, Silke Haueiss und Anke Nicolai
¡ ver-rückt ! Versuche zu Chaos, Fliegen und Maschinen
Eine ForscherTheater-Produktion der Schaubude Berlin mit TUKI Bühne. Premiere im Rahmen von Theater der Dinge: 26.10.2019 in der Schaubude Berlin.
Regie: Franziska Burnay Pereira | Performance, Musik: Alpha Angelina Kartsaki| Performance, Figurenbau: Gonzalo Barahona | Kostüm, Bühne: Michaela Muchina | Dramaturgie, Bühne: Susann Tamoszus |Lichtdesign: David Scholz | Leitung TUKI Bühne: Renate Breitig |Film- und Fotodokumentation: Jara López Ballonga
1 Kommentar
Kommentieren →Super geschriebener und informativer Artikel :-). Eine sehr gute Aufstellung. In diesen Blog werde ich mich noch richtig einlesen 🙂