Editorial 2020 (de/en)

English version below

Sich einen künstlichen Körper machen geht schnell: Durch das Tragen von Toupets oder trackenden Fitnessuhren, das Retuschieren von Selfies, Nutzen von Online-Avataren, durch das Verstellen der Stimme oder Einnehmen von Hormonen. Der Spielraum für Experimente mit dem Selbst scheint unendlich — und doch sind unsere Körper immer schon vorgeprägt von machtvollen Künstlichkeiten, die wir nicht so schnell verändern können:

Anerzogene Geschlechternormen, sozialer Habitus, unser Eingebettetsein in Infrastrukturen, Medien und Maschinen, das scheinbar individuelle Denken in einer dem Individuum vorgängigen Sprache. Unsere Körper sind durchdrungen von Ideen wie von Stoffen in Nahrung, Luft und Wellen — was lebenslang einverleibt wird, das bleibt und prägt die darauf folgenden Modifikationsversuche. Der gerne aufgestellte Gegensatz natürlich/künstlich führt ins Leere.

Der Blog selbst ist ein künstlicher Zwilling des Festivals und befragt seine kunstvollen Figuren-, Objekt-, Roboter-, Cyborg- oder Menschenkörper. Wie schaffen die Inszenierungen mit ihren ästhetischen Erfindungen neue Körper? Wie können wir durch ihre Spiegelbilder die Gegenwart anders sehen? Wenn die Alternative zu einem künstlichen Körper sicher nicht ein natürlicher ist — was dann?

Auf dem Blog erscheinen nach und nach Essays, Künstler*innengespräche, Audiointerventionen, Erfahrungsberichte, Fotografien, Gedichte, Audiodeskriptionen und Beiträge, von denen wir erstmal gar nicht wissen, was sie eigentlich sind.

Wir freuen uns auf die Beiträge unserer Gast-Autor*innen:  

Wegen der kurzfristigen Umplanung des Festivals als digitales Event werden einige Inszenierungen nicht oder erst nach dem erneuten Lockdown zu sehen sein. Aufgeschoben sind daher diese bereits geplanten Beiträge:

  • Essay der freien Autorin Magdalena Schrefel zu WETWARE von O-Team
  • Visuelle Response des Künstlers und Safer-Sex-Educators Marc Seestaedt zu Attention Aerosols! von theater unlimited
  • Eine Reflexion der Künstlerin und Body Positivity-Aktivistin Sunniva Innstrand zu HEART von Li Kemme
  • Ein Hörstück der Kulturjournalistin und Radioautorin Gaby Hartel zu Man Strikes Back von Post Uit Hessdalen
  • Ein Beitrag der Multimedia-Performerin Anna Natt zu Corpus von Xavier Bobés
  • Ein Beitrag der Dramaturgin und Figurentheaterkünstlerin Cornelia Winkler zu Wax-En von Laia Ribera Cañénguez & Rafi Martin
  • Ein Essay des Blogredakteurs Sebastian Köthe zu Protokoll Physique Fragment von Collectif Toter Winkel

Wir wünschen ein inspirierendes Festival mit social solidarity durch physical distancing und eine anregende Bloglektüre!

Hier geht es zum Programm und Ticketkauf


Spenden willkommen 🙂

Es sind schwierige Zeiten für die Kultur. Sie können unsere Arbeit als Produktionshaus und die Zusammenarbeit mit freischaffenden Künstler*innen des Figuren- und Objekttheaters in der kommenden Zeit unterstützen: Mit einer Spende an unseren Förderverein. Herzlichen Dank!

Förderverein der Schaubude Berlin e.V.
DE62 4306 0967 1182 6852 00
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Editorial note

Creating an artificial body can be a quick and simple matter: by wearing a toupee or a fitness tracker, by retouching selfies or using online avatars, by adjusting your voice or taking hormones. The possibilities for experimenting with the self seem endless – and yet our bodies have always been shaped by powerful artificialities that we cannot change so easily: Incorporated gender norms and social habitus, being embedded in infrastructures, media and machines, being determined in our seemingly free expressions of ourselves by a pre-shaped language. Our bodies are permeated by ideas as well as by the substances contained in food, air and waves. What has been internalized for years remains and shapes the subsequent attempts at modification. The contradiction between natural and artificial which is often put up turns out to be a dead end.

The blog itself is an artificial twin of the festival, questioning its artistic figures, objects, robots, cyborg and human bodies. How do the productions create new bodies? How can we see the present differently through their mirror images? If the alternative to an artificial body is certainly not a natural one – what then?

Gradually, the blog will feature essays, artist conversations, audio interventions, field reports, photographs, poems and posts that we don’t even know what they actually are.

We are looking forward to the contributions of our guest authors:

We wish you a thought-provoking festival with social solidarity through physical distancing and inspiring blog visits!

Check out the programme and purchase tickets here