Surreale Tauchgänge in der Schaubude Berlin: Macromatter und die berauschenden Dimensionen des Auftriebs

Von Antonia Gersch

»High Water« ist ein wissenschaftlicher Versuch, der sich der physikalischen Auftriebskraft widmet. Unter Auftrieb versteht man die nach oben gerichtete Kraft, die auf einen Gegenstand wirkt, der unter Wasser getaucht wird und auf faszinierende Weise der Schwerkraft entgegenwirkt. So wie wenn man eine leere Shampooflasche in der Badewanne unter Wasser drückt und loslässt. Beginnen wir mit dem Versuchsaufbau: Ein 200 Liter Aquarium, das sich über einen Schlauch aus einem großen Fass über die 50 Minuten der Performance mit Wasser füllt, wird zum Experimentierfeld. Robin Leveroos/Macromatter entfliehen dem Berliner Grau, das sich so oft an Montagen über die Stadt legt und durchaus mal bis Dienstag anhält. In unterschiedlichen künstlerischen Kollaborationen schafft Macromatter situative Räume, fasziniert von physikalischen Phänomenen. „High Water“ entstand in Kollaboration von Robin Leveroos (Performance), Elysse Cheadle (Ko-Leitung) und Nancy Tam (Sounddesign/Live Performance).

Foto: Gilles Yann Smrkovsky

Die Wunderwelt des Wassers erforschen

Edvard Griegs Morgenstimmung ertönt und Robin Leveroos‘ Zyklus von Experimenten beginnt mit einem Kreationsmoment: Robin schafft sich eine wundersame Wasserwelt, legt liebevoll einen Garten aus den Zotteln eines grünen Wischlappen an, mit weißem Plastikzäunchen drumherum. Das ist kitschig, das ist bürgerlich und gleichzeitig ertappt man sich bei einem Schmunzeln, denn der Rasen muss schließlich auch gemäht werden. Es braucht nicht viel, um sich auf dieses Spiel mit Objekten einzulassen, die ihre ganz eigenen Geschichten erzählen. Robin nimmt das Publikum mit auf einen Trip: Ein Floß mit einem winzigen Plastiktütchen als Segel befördert uns in andere Sphären. Von einem Lineal schnickt Robin eine winzige Hundefigur in das Aquarium, eine Ente folgt ihm. Die Kinder im Publikum fragen sich: Warum macht Robin das? Und warum versprüht Robin dabei so viel Freude? –– Klingt komisch, ist aber so: Weil es so schön anzusehen ist, einen aus dem strukturierten Alltag reißt und gleichzeitig eine Neugier in uns weckt, eine kindliche Experimentierfreude aktiviert – mit Alltagsgegenständen.

Foto: Nadine Freisleben

Vermutlich auch, weil man es so gerne selbst ausprobieren möchte. Kleine flauschige Bällchen beladen eine Kanone, bääääm. Ein metallener Dampfgareinsatz wird erst mit Tischtennisbällen beladen, die sich ihren Weg an die Wasseroberfläche bahnen, ein Gewitter zieht auf, der Gareinsatz fliegt als Hubschrauber davon. Ein Luftballon wird erst aufgeblasen und unter Wasser entleert, man meint Martin Luther Kings berühmte Rede am Lincoln Memorial zu vernehmen.

Von Vulkanen und Flamingos – Kopfsprung in andere Sphären

Foto: Gilles Yann Smrkovsky

Die Ästhetik von »High Water« erinnert an den 1989 erschienen Pixar Kurzfilm »Knick Knack«, in dem ein Schneemännchen unermüdlich versucht, der Schneekugel zu entfliehen, die ihm die Versuchungen des Alltags vorenthält. Und doch verbleibt »High Water« nicht in schönen Bildern und faszinierenden physikalischen Effekten, wie den Terrakottablumentöpfen, die kopfüber gestülpt im Aquarium zu brodelnden Vulkanen werden, ein weiteres Floß, diesmal beladen mit Wäscheklammern, bringt den Stimmungswechsel. Robin klappt die Seiten des Fischerhuts auf dem Kopf hoch, reitet als Cowgirl, verscheucht Mücken. Mit Madonnas „Celebrate“ und Rupert Holmes “Escape (The Piña Colada Song)” nimmt die Performance eine illustre Wendung, mit pinken Flamingos und einem Cocktail aus einer Plastikananas – direkt wieder ausgespuckt, Piña Colada bitte nur mit Cocktailkirsche und ganz wichtig: Sonnencreme nicht vergessen und dabei bitte die Devise verfolgen: Viel hilft viel. Und man fragt sich: Hat hier doch David Lynch seine Finger mit im Spiel? Das Ganze mag stellenweise ein bisschen überdreht wirken und doch legt Robin in jedes Objekt, das das sich füllende Wasserbassin betritt und wieder verlässt so viel Liebe zum Detail, dass schon allein die Experimentierfreude und der Detailreichtum zum Faszinosum werden. Was passiert, wenn man einen mit Luft gefüllten Ballon in einen Haufen Cocktailspieße drückt? Oder eine Pop-Up Frisbee unter Wasser aufploppen lässt? –– Unbedingt mal ausprobieren…

Foto: Joana Lucas

Die Welt im Aquarium – Mit Kinderaugen sehen

Was »High Water« schafft, und zwar ganz ohne sich anzubiedern, ist eine der vielleicht größten Hürden von Performances für junges Publikum: Es versucht gar nicht erst, eine zu sein. Zugegebenermaßen: Ein paar Erklärungen braucht es dann aber doch. Als Robin Bandsalat mit einer Musikkassette veranstaltet gehen zwei Wellen der Reaktion durch das Publikum. In meinem Kopf Bilder von einem Bleistift, von ??? und Legosteinen; bei den Kindern im Kita-Alter: Große Ratlosigkeit über das unbekannte Objekt. Auf ganz wundervolle Weise bringt Macromatter zwei scheinbar ferne Publikumsgruppen zusammen, die ganz kleinen und die ganz hippen. Letzteren wird dabei auch der Spiegel vor die Nase gehalten; denn manchmal darf es auch ein bisschen mehr Farbe sein und dafür ein bisschen weniger Ernst.

Foto: Joana Lucas

Nach etwa 50 Minuten wird man jäh aus den eigenen Gedanken gerissen. Wann ist denn eigentlich dieses ganze Aquarium mit Wasser vollgelaufen? Und wo hat die Nautilus, auf die Robin Leveroos das Publikum eingeladen hat uns überall hingebracht? Sind wir zwischendrin auf einem Raumschiff davongeschwebt? Wir befinden uns in der Tiefsee, hören den Klang eines sonoren Abhörgerätes und tauchen langsam auf. Vorbei an einer Bowlingkugel mit Wunderkerzen in Richtung der Wasseroberfläche. Lauter Minimaltechno geht an und eins wird klar: Für einen Teil des Publikums wird es noch eine lange Nacht.

Foto: Joana Lucas

Antonia Gersch ist Tanzwissenschaftlerin und Tanzdramaturgin. Ihr Fokus liegt auf der Verknüpfung soziopolitischer Themen, künstlerischer und theoretischer Diskurse im Dialog mit dem Körper.