Fußnote von Magdalena Benavente zu KAFFEE MIT ZUCKER?

Materialperformance und biografisches Dokumentartheater zu deutschen kolonialen Spuren in Mittelamerika, das ist die Produktion »Kaffee mit Zucker?« von Laia RiCa, die im Februar 2022 an vier (ausverkauften) Abenden erneut in der Schaubude Berlin gezeigt wurde. Magdalena Benavente Larios* konzentriert sich in ihrem Gastkommentar zur Inszenierung auf die historische Einordnung der deutschen Einwanderung in Guatemala.

Der deutsche Kartograph Martin Walzenmüller gibt 1507 dem »neuen« Kontinent einen Namen: »America« – und das ist nur eine von zahlreichen Verbindungen zwischen Amerika und Deutschland. Mit einer Karte von Amerika und der Frage, was es bedeutet, Amerikaner*in zu sein, steigt Laia RiCa in »Kaffee mit Zucker?« ein. Sie und ein Team aus lateinamerikanischen Theatermacher*innen greifen in dem Stück ein hierzulande fast unbekanntes Thema auf. Mit Liebe zum Detail und technisch einwandfrei erzählen sie von der deutschen Einwanderungsgeschichte in Guatemala sowie vom Zusammenhang von Kaffee- und Zuckerexporten nach Europa mit einer tief verwurzelten rassistischen Einstellung der deutschen Siedler*innen und der Ausbeutung und Versklavung der indigenen Bevölkerung in den Kaffeeplantagen.

Entlang ihrer eigenen Biografie präsentiert Laia RiCa historisches Material und choreografiert mit einer eigens für die Performance komponierten Musik Themen wie Rassismus, Zwangsarbeit, koloniale Gesetze, Migration und Identität.

Trotz großer Begeisterung über die Inszenierung und ihre Umsetzung lassen sich in Bezug auf die Rekonstruktion historischer Fakten einige Mängel feststellen. So lässt das Stück den Eindruck entstehen, die deutsche Siedler*innen wären erst nach dem ersten Weltkrieg im Rahmen der deutschen Kolonialisierung nach Guatemala gekommen. 

Die erste Welle deutscher Immigration setze jedoch schon 1827 ein, kurz nach der Unabhängigkeit des Landes von Spanien im Jahr 1821.  Um 1900 waren bereits über hundert Kaffee- und Zuckerplantagen in deutschem Besitz. Nach dem ersten Weltkrieg setzte dann die zweite Einwanderungswelle ein. Das Deutsche Reich hatte durchaus koloniale Ambitionen in Mittel- und Südamerika –  in Gebieten des heutigen Venezuelas und Kolumbiens (16. Jh.) und nach dem Besuch einer preußischen Kommission an der Moskitoküste auch in Mittelamerika (19. Jh.) – die Eroberungsversuche sind allerdings gescheitert.

In einem Versuch der »Weißmachung« der eigenen Bevölkerung versuchte die guatemaltekische Regierung während des 19. Jahrhunderts, weiße Siedler*innen anzulocken. Dafür verabschiedete sie Gesetze, welche eine spontane Einwanderung von Privatpersonen ermöglichten. Die Deutschen profitierten davon, ebenso wie von den zahlreichen Privilegien, die sie in einem rassistischen, postkolonialen Unterdrückungssystem genossen und immer noch genießen.

Insofern nein, eine Kolonialisierung in engerem Sinne fand nicht statt; aber ja, koloniale Kontinuitäten und moderne Formen der Kolonialisierung setzten ein. Sie zementierten rassistische Unterdrückung, stifteten Identitäten und diktieren nach wie vor die internationale Migrationspolitik.

Das ist die Stärke von »Kaffee mit Zucker?«: Komplexe historische Verflechtungen und aktuelle politische Themen werden auf eine mitreißende und zugängliche Art präsentiert. Die Performance macht neugierig, führt in einen wichtigen Teil deutsch-guatemaltekischer Geschichte ein und macht Lust auf mehr: mehr historisches Wissen und mehr Theater! Ich hoffe, bald ein weiteres Stück von Laia RiCa sehen zu können.


*Magdalena Benavente Larios ist Rechts- und Sozialwissenschaftlerin und forscht in Bereich Rechtsgeschichte und Geschlechtertheorie. Seit 2015 ist sie beim Migrationsrat Berlin e. V. Rechtsreferentin und Beraterin zu Themen wie Migrationsrecht. »Kaffee mit Zucker?« hat sie am 17.2.2022 in der Schaubude Berlin als Zuschauer*in gesehen.

Literaturhinweise:

  • Julio Castellanos Cambranes (1992): 500 años de lucha por la tierra: estudios sobre propiedad y reforma agraria en Guatemala.
  • Enrique Florescano (1997): Etnia, estado y nación: ensayo sobre las identidades colectivas en México.
  • Marcus Lee Hansen (1940): The Atlantic Migration, 1607 – 1860. 
  • Louis S. Segesvary 2001): Deutsche Siedler, Kulturträger und deutsches Gedankengut in Guatemala.

Fotos: Erich Malter (1+2), Antonio Cerezo (3)


Kaffee mit Zucker? / 17.-20.2.2022 in der Schaubude Berlin
Konzept, Text, Spiel, Produktionsmanagement: Laia RiCa
Live-Musik: Yahima Piedra
Dramaturgie, Außenblick: Antonio Cerezo
Video: Daniela del Pomar
Videodramaturgie: Leicy Valenzuela
Bühnenbild: Marian Nketiah
Lichtdesign: Vanessa Farfán


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