Von Larissa Jenne
Am 18. August 2020 feiert in der Schaubude endlich »#mysharedspace« Premiere – eine immersive, begehbare und ein bisschen interaktive Rauminstallation mit Figuren- und Objekttheater.

_01_ Ausgangspunkt von #mysharedspace
waren viele, in mehreren Jahren gesammelte Begegnungen über Online-Dating-Plattformen und Couchsurfing. So viele Menschen, im Chatroom und in ›echt‹, um die Einsamkeit und irgendwelche Löcher zu stopfen, als Belebungsmaßnahme, einfach aus Neugier, für Sex, um über den Tellerrand zu gucken, um zur Idee des Teilens und Reisens und Gastgebens beizutragen… Aus der Suche, vor allem dem Online-Dating, wurde eine Obsession, ein Sport.
Einige dieser Begegnungen waren lustig, ein paar haben meinen Horizont erweitert, manche waren grenzüberschreitend, ein Großteil war wunderschön. Kaum eine Freundschaft war von Dauer. Alle suchen. Getriebene. Immer weiter. Die Wohnung glich einem Taubenschlag. Dates, Couchsurfing-Gäste, Freunde und Freunde von Freunden gaben sich die Klinke in die Hand.

»Hereinspaziert! Hereinspaziert!
Du kannst alles von innen angucken.
Mein Nest. Dauernd öffnet es sich.
Obwohl es so sauber und still und klein und schön duftet.
Nur für mich.
Und da steckt eine Menge Arbeit drin.
Das wissen die gar nicht zu schätzen.«
_02_Methode Material
Diese vielen Begegnungen hinterlassen Spuren. Eine Schriftstellerin würde darüber schreiben. Bühnenbildnerinnen bauen erstmal was. Ich baute ein 1:10-Modell einer (meiner) Berliner Einraumwohnung.
Das Schaffen ist der Versuch, über das Material die Welt zu be-greifen. Der Raum selbst soll Geschichten erzählen. Er kann als Erinnerungsort Vergangenes abspeichern. Jeder Raum hat eine eigene Atmosphäre und eine eigene Tageszeit. Auf der Suche nach poetischen, aufgeladenen Bildern vermittelt das Bühnenbild zusammen mit dem Sound Stimmungen, die die Atmosphäre des gemütlichen Rückzugsorts oft ins Beklemmende, Un-Heimelige, auch Eklige und Obszöne kippen lassen.

_03_Formsuche
Aber welche Form, welches Medium ist das Richtige? In einem fünf Jahre dauernden Prozess suchte ich mit wechselnden künstlerischen Weggefährt*innen danach, wie #mysharedspace gezeigt werden sollte. Wird es ein Computerspiel, eine interaktive Website, ein Bühnenstück, ein Film oder einfach eine Fotoausstellung? Unterwegs entstanden zahlreiche Fotos und #mysharedspace wuchs und wuchs und wuchs.
Wichtig und völlig klar war immer: Es soll irgendwie interaktiv sein; die Neugier, der Voyeurismus der Zuschauenden soll eine Rolle spielen; der Raum selbst soll wie eine Figur behandelt werden, ein eigener Organismus sein, es soll mit Figuren und Objekten gearbeitet werden und, naja, es wird sehr privat.

_04_Wo ist die Grenze?
Ich halte es für eine große Herausforderung, autobiografisch zu arbeiten. Was passiert mit meinen Geschichten, mit meinem Leben, wenn es medial verarbeitet wird? Wo hülle ich etwas in sieben Schleier und wann erzähle ich offen, ehrlich, frech und explizit? Wie wirkt der Schutz der Rampe? Wann bin ich achtsam? Wie weit kann ich gehen? Wo ist die verdammte Grenze?
_5_Kollektiv
Es ist eine Freude und ein großes Glück, in einer vertrauensvollen, kreativen Gruppe von großartigen Theaterschaffenden arbeiten zu dürfen. Unser Kollektiv besteht nun aus der Regisseurin und Performerin Christina Schelhas, der Figurenspielerin und Coderin Emilia Giertler, den Bühnen- und Kostümbildnerinnen und Figurenbauerinnen Salomé Klein und mir und dem Video- und Soundkünstler Alexander Hector. Wir arbeiten (von Corona leicht beeinträchtigt, aber nicht geschlagen) kollektiv an den Themen weiter und kreieren eine gemeinsame Kunstfigur, die #mysharedspace bewohnt, wie die Hexe das Knusperhäuschen.

»Lass doch ein Stückchen von dir hier, damit ich dich behalten kann
in meinem Kopf, an meiner Haut, in mir.«
_06_ Gäste
In #mysharedspace wird man eingeladen, als Gast eine Wohnung zu erkunden. Jede Person bewegt sich alleine hindurch. Niemand zuhause? Die Wohnung ist verwaist. Jemand hat sich dort lange Zeit zurückgezogen, vor der Welt draußen versteckt. Der intime, private Rückzugsraum einer fremden Person fängt plötzlich an, wie ein eigener Organismus zu leben, zu erzählen, zu fragen.
Die Begegnungen, ob online oder live, sind längst vorüber. Nur die Spuren sind übrig und hängen den Objekten an oder manifestieren sich in unheimlichen Bewohnern, die die Ecken der Wohnung bevölkern. Die Wohnung ist angefüllt mit merkwürdigen Mitbewohnern, die in Schränken, in der Badewanne, unterm Bett und im Blumentopf hausen. Sie sind die Kommentatoren, die kleinen Alter Ego der Bewohnerin und Erinnerungen an die Begegnungen. Die Wohnung lebt. Und sie würde dich ganz gerne behalten…

»Tausend neue Augen wünsch ich mir und Arme
Um alles siebenmalganz auszutrinken alles aufzuessen anzufassen
zu umschlingen«
MYSHAREDSPACE, Premiere 18.8.2020 in der Schaubude Berlin
Text, Regie, Spiel: Christina Schelhas
Idee, Text, Bühne, Figuren, Spiel: Larissa Jenne
Text, Bühne, Kostüme, Spiel: Salomé Klein
Text, Spiel, Coding: Emilia Giertler
Sound, Video: Alexander Hector
Musik: Ezra Azmon, DJn MIMI LOVE
#workinprogress