Wie sieht es aus, das Sterben, wie fühlt es sich an? Und was geschieht, wenn es soweit ist? Welche Songs sollen auf der eigenen Beerdigung spielen?
Die von der Schaubude koproduzierte Inszenierung mit Puppen, Live-Musik und nachdenklichem, aber auch leichtfüßigem Material zum Thema Tod »Sense« hatte im März 2020 Premiere. Zu weiteren Aufführungen kam es leider nicht, denn plötzlich war ›Corona‹. Veronika Thieme (Spiel), Tilla Kratochwil (Regie) und die Beerdigungsband Misotis (Isabel Neuenfeldt & Giovanni Reber) haben von der Produktion während unserer Schließzeit aber einen schönen Trailer aufgenommen. Wir hoffen, dass es sie bald wieder auf der Bühne zu sehen gibt! Außerdem in diesem #extra: »Patchwork am Grab«, der Monolog von Isabel aus der Inszenierung.
Patchwork am Grab
»Vor ein paar Jahren war ich mit bei der Beerdigung vom Vater eines guten Freundes. Hat ein bisschen gedauert, bis ich da die Familienverhältnisse kapiert hatte. Der Freund ist das Kind aus einer langjährigen Affäre seines Vaters, dann gibt’s noch zwei Halbgeschwister aus der ersten Ehe und die letzten zwanzig Jahre war der Vater nochmal mit einer anderen Frau verheiratet. Diese drei Frauen waren jedenfalls alle da.
Und dann war so ein bißchen unklar, wer geht zuerst ans Grab. War dann doch die letzte Frau. Und die anderen beiden sind dann schließlich Arm in Arm hin… Irgendeine Tante hat sich trotzdem später aufgeregt… Da ist mir so klargeworden, was für Geschichten und Konstellationen hinter so einer Gruppe Menschen stecken, was man erstmal gar nicht sieht.

So eine Trauerfeier in Reinickendorf zum Beispiel, da wurde eine Frau neben ihrem Mann beerdigt, der schon acht Jahre tot war. Die hatten vier inzwischen erwachsene Kinder. Und die saßen in der Kapelle alle vorne. Und in der fünften Reihe am Rand, da saß der neue Freund der Verstorbenen, der spielte gar keine Rolle. Obwohl die über fünf Jahre zusammen waren und eine sehr gute Zeit hatten. Für den hab ich dann am Grab spontan noch ›Wo mein Herz schlug, ist Platz für dich‹ gespielt…
Gleicher Friedhof, vor anderthalb Jahren. Da hab ich vom Bestatter die Liedwünsche bekommen:
Schnucki, ach, Schnucki
Ich bin der schönste Mann in unsrer Mietskaserne
und
In der Weihnachtsbäckerei …
Die Angehörigen hab ich erst auf dem Friedhof zum ersten Mal getroffen: Da war die Frau, mit der der Verstorbene in Berlin gelebt hatte – mit der gemeinsamen Tochter, ungefähr 16, und die Frau, die er in Thailand hatte – mit der gemeinsamen Tochter, auch ungefähr 16… Plus ein paar Arbeitskollegen und die Freunde aus der Laubenkolonie. Die hatten alle überhaupt kein Problem. Die haben alle gesungen. In der Weihnachtsbäckerei! Im September! Und alle konnten den Text!
Oder meine allererste Trauerfeier, da gabs zwei Tote: eine alte Frau und ihre erwachsene Tochter. Die haben in Symbiose gelebt und sind in Symbiose gestorben. Keine Angehörigen da, aber die Mutter hatte vorgesorgt und gespart und wollte eine Trauerfeier mit Rede und Musik, und so kam ich ins Spiel.
Wir waren dann insgesamt zu fünft: zwei zu drei, die beiden Toten und drei Lebende. Die Trauerrednerin, die Friseurin der Toten und ich. Wir haben uns den Särgen zugewandt, die Rede war … schön, ich hab drei Lieder gespielt, aber richtig traurig war keiner, also keiner hat getrauert, keine von uns war denen ja besonders nahe. Aber Würde hatte es!«
Sense. Wir nähern uns dem Ende
Puppentheater mit Live-Musik • u.a. mit Texten aus »So sterben wir« von Roland Schulz
Koproduktion mit: Schaubude Berlin
Regie: Tilla Kratochwil
Spiel: Veronika Thieme
Musik: Miosotis: Isabel Neuenfeldt, Giovanni Reber
Puppenbau, Fotos: Ulrike Langenbein
#extra