Ein abgehackter Miniaturkopf, grell beleuchtet, starrt in Stille. Ich starre zurück. / Meine Brust hebt und senkt sich. Sie ist verkabelt mit dem Raum, den ich betrete. Ich atme. Der Raum bewegt sich mit meinem Atem. / Eine letzte Drohne, zurückgelassen von den Menschen, die die Erde verlassen haben, fliegt.

Eine Welt ohne uns? Das Bild einer Erde ohne Menschen hat in jüngster Zeit eine »seltsame, aber symptomatische Konjunktur«, wie schon Eva Horn in Zukunft als Katastrophe bemerkt. Getriggert von Bildern des ersten harten Lockdowns in der Corona-Pandemie, von menschenleeren Plätzen und von Theaterstücken, die ohne Publikum neu erfunden werden mussten, entstanden für das diesjährige Festival der Schaubude Berlin drei Installationen, die als Parcours gezeigt werden.
Hier werden dystopische Themen wie Leere, Katastrophe, Abgrund, Stille, Künstlichkeit, Zerstörung und Endlichkeit verhandelt. Der Welt nach der Katastrophe wohnt dabei erstaunlicherweise eine zarte Harmonie, ja fast Schönheit inne. Liegt in der Vorstellung einer post-apokalyptischen Erde ohne Menschen gar eine heimliche Sehnsucht? Der Wunsch nach einem wiederhergestellten Gleichgewicht? Das Gefühl einer sich langsam ausbreitenden Erleichterung mit dem Wissen, das nun alles vorbei und entschieden ist?
Ich betrete die Räume allein. In einer Zeit des social distancing gibt es kein Publikum. So existieren nur das Kunstwerk und ich, verbunden in einem intimen Moment, wie zwei Planeten, deren Laufbahnen sich kurz kreuzen und sich dann wieder voneinander entfernen.
In Corpus 1/6 öffnet sich ein Vorhang, nur für mich. Ich staune. Ein barockes Cello spielt, nur für mich. Ich tanze leise. Ein Sonett von Shakespeare erklingt und ich bleibe stehen, blicke auf die leblosen tierischen und menschlichen Körper, angestrahlt von Scheinwerferlicht und drapiert zwischen Trockenblumen.
Im zweiten Raum, in Earthbounds, bewegen sich Bilder an der Wand im Takt der Bewegungen meines Körpers, mit Sensoren verbunden. Ich atme. Ein Schokoriegel liegt, nur für mich, im Kunstrasen platziert. Ich lasse ihn liegen und fahre mit den Fingern durch die Erde, in der Kresse wächst. Ich lasse auch den Müll liegen, den vorherige Besucher*innen hinterlassen haben. Aber ich gebe der Kresse Wasser. Ich fühle mich kraftvoll, verbunden, mit diesem Raum, der auf meine Anwesenheit reagiert.

Später, in der Installation Pawāaraibu – filling the vacuum, werde ich zur Drohne, die über die verlassene Erde schwebt – begleitet von klagenden, wunderschönen, leisen digital programmierten Gesängen – bis ich nach ausgiebigen Erkundungen von Gletscher- und Flechtenlandschaften durch eine komplett digitale Welt aus Zahlen schwebe.
Im Anthropozän, dem Zeitalter, in dem der Mensch zu einer planetaren Kraft wird, zu einem Faktor, der die geologischen, biologischen und atmosphärischen Prozesse der Erde beeinflusst, verschwimmt die Grenze zwischen Natur und Kultur. Selbst wenn der Mensch aussterben sollte, so wird noch Millionen Jahre später eine Gesteinsschicht bleiben, die an ihn erinnert – Spuren einer vergangenen Zivilisation.
Dies ist der Unterschied von modernen apokalyptischen Vorstellungen zu solchen aus Zeiten Shakespeares, mit denen der Parcours beginnt. Hier dominieren abgeschnittene Gliedmaßen das Schlachtfeld. Arme und Hände strecken sich gen Himmel aus, weltliche Eitelkeit und Hochmut werden beklagt. In der Moderne ist die Apokalypse seltsam blutleer – die Menschen sind verschwunden, aber Tote oder ein Massaker werden nicht gezeigt. Was bleibt, sind Plastikfetzen, Kunstrasen und verkabelte Erdhaufen: eine ausgebeutete, stumpfe, leblose Welt.

Die Klimakrise – als »Ereignis ohne Katastrophe« (Eva Horn), als ein schleichender Prozess des Niedergangs, der Zerstörung, der sich so langsam vollzieht, dass wir es teilweise kaum bemerken, bis es zu den gefürchteten Umschlagpunkten, den tipping points, kommt, die plötzlich alles verändern – provoziert die Entstehung solcher Räume. Hier wird die Katastrophe, bevor es soweit ist, greif- und sichtbar gemacht.
Räume des Experimentierens, des Ausprobierens, des Spielens, in denen wir mögliche Zukünfte, Dystopien und Katastrophen imaginieren können. Wie wird unsere Zukunft aussehen? Und: Welche Zukünfte sind nicht mehr möglich, weil wir sie in der Vergangenheit bereits verunmöglicht haben?
Es ist kein Zufall, dass diese Räume einen laborhaften Charakter haben. In ihnen wird eine Art neues Wissen ko-kreiert, indem sie uns einladen, mit einer anderen als der uns vertrauten Perspektive auf die Welt zu schauen.
Sie laden aber auch dazu ein, unsere agency, unsere Handlungsfähigkeit zu reflektieren. Sind wir nicht ein Teil von dieser Welt? Schwingt nicht jeder Raum mit uns mit, wenn wir ihn betreten, auch, wenn wir nicht mit Sensoren durch ihn verbunden sind? Gestalten, ja designen wir nicht diese Welt? Eine Krise lässt keine Neutralität zu.
Mit dem Gedanken einer Welt ohne Menschen, mit der Erfahrung des stillen Allein-Seins mit jeder der drei Installationen, richtet sich mein Blick langsam und immer klarer auf mich selbst.
So fange ich an nachzudenken:
Vielleicht brauchen wir statt eines Diskurses, der Menschen sagt, sie sollen die »Natur schützen« und sich dabei selbst zurücknehmen, eher einen Diskurs, der jeden einzelnen Menschen einlädt, in seiner Kreativität, seinem individuellen Wissen, seiner Leidenschaft für diese Welt, in seinem Bestreben etwas beizutragen, sich einzumischen, da zu sein, zu gestalten, Fehler zu machen, zu zerstören, leichtsinnig zu sein, aber auch zu kreieren, zu erschaffen, zu spielen und zu leben.
Vielleicht rückt gerade die Vorstellung einer Welt ohne Menschen den Menschen in den Fokus. Und vielleicht brauchen wir diese Räume der Imagination, in denen wir Zukunft erleben und verkörpern in gleichem Maße wie wissenschaftliche Fakten, um die Realität, in der wir uns befinden, verstehen zu können. Vielleicht brauchen wir mehr Räume wie diese, die uns zeigen, dass einfach indem wir da sind, wir in Kontakt mit der (Um-)Welt sind. Räume, in denen menschliche, tierische, pflanzliche, künstliche Körper und Dinge zueinander in Beziehung stehen; Räume, in denen Natur und Kultur unauflöslich ineinander verwoben sind, Räume der Imagination, des Spiels und des Realen. Vielleicht brauchen wir genau das, mehr.
Alina Lebherz ist Studentin der Kulturwissenschaft, arbeitet am Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung und fragt sich manchmal, wie es wäre, ein Baum zu sein.
PARCOURS
5.-7.11. im Theaterhaus Mitte
Corpus 1/6
Xavier Bobés, Katalonien
Installation, mit wenig Sprache, in Deutsch/Englisch
Konzept: Xavier Bobés / Musik: Frances Bartlett / Objekte: Sebas Reig Brau / Licht: Werner Wallner
Auftragsarbeit für Theater der Dinge 2020 / Unterstützt von: Institut Ramon Llull
www.enresidencia.org/en/xavier-bobes
Earthbounds
VERAVOEGELIN (Anna Vera Kelle, Leoni Voegelin), Deutschland
Interaktive Installation, ohne Sprache
Unterstützt von: MA Spiel und Objekt der Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch«
veravoegelin.hotglue.me
Pawāaraibu – filling the vacuum
Lex Rütten, Jana Kerima Stolzer, Deutschland
Musical-Installation und Virtual Reality, in Englisch
Gefördert von: Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen / Unterstützt von: PACT Zollverein, Akademie für Theater und Digitalität Dortmund www.thisisinternet.de
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